Ergänzungen zum Rechenschaftsbericht des Vorstandes
Liebe Freundinnen und Freunde der Heimatgeschichte, verehrte Gäste, sehr geehrte Frau Bezirksbürgermeisterin Pohle,
mit meinen Ergänzungen zum Rechenschaftsbericht fange ich mit zwei unangenehmeren Themen an.
Das erste wäre die Entschuldigung für ein offenbares Formatierungsproblem bei der Drucklegung unseres Berichtsheftes: Im Register unserer „Beiträge zur Regionalgeschichte“ – das dankenswerterweise Frau Ninon Suckow erstellt hat – sind die Autorennamen abhanden gekommen. Das ist hochgradig ärgerlich, wir konnten es aber leider nicht mehr korrigieren. Wir halten dennoch dieses Register hinsichtlich der Breite der dargestellten Forschungsaktivitäten für aussagekräftig genug. Viele von Ihnen haben daran Anteil. Dafür möchte ich Ihnen danken!
Ein zweites sollte uns aber Anlass zur Besorgnis geben – die Mitgliederentwicklung unseres Vereins. Ich habe einmal nachgeschlagen:
2005 hatte der Verein noch 160 individuelle Mitglieder – derzeit sind es 105.
2005 waren 40 Unternehmen bei uns Mitglied, heute sind es noch 15.
Das sind verglichen mit anderen immer noch ganz ordentliche Werte, wie ich finde. Aber die Tendenz sollte uns beunruhigen.
Ausgehend von der Feststellung, dass unsere Vereinstätigkeit zum entscheidenden Teil durch die Mitgliedsbeiträge finanziert wird und der Kenntnisnahme dieser Zahlen, sah sich der Vorstand veranlasst, Ihnen heute eine weniger erfreuliche Entscheidung zu empfehlen – eine vergleichsweise, wie wir meinen, moderate Anhebung der Beiträge. Ich denke, unsere „Verwaltungsaufwendungen“ sind – auch gemessen an anderen – äußerst gering. Alle Vereinstätigkeit, deren beeindruckende Bilanz im Bericht nachzulesen ist, erfolgt ehrenamtlich. Aber gewisse Kosten entstehen eben doch.
Nun kann und muss man sagen: Wir brauchen mehr Mitglieder. Ja, natürlich. Aber die demographische Entwicklung bekommen wir wie alle anderen zu spüren. Man muss allerdings einräumen, unser Tätigkeitsspektrum ist vergleichsweise gering.
Wir sind im klassischen Sinne ein Geschichtsverein. Allen anderen Tätigkeitsfeldern haben wir uns, auch aus Kräftegründen, in den letzten 15 Jahren sukzessive verschlossen.
Hier ist meines Erachtens ein Paradigmenwechsel nötig. Wollen wir mehr Menschen zur Mitarbeit im Verein gewinnen, sollten wir eine Ausweitung unserer Tätigkeitsfelder überprüfen. Ich könnte mir vorstellen, dass es dem Heimatverein gut täte, sein Profil in den nächsten Jahren in Richtung eines „Marzahn-Hellersdorfer Kultur- und Heimatvereins“ zu erweitern – mit Angeboten an die Menschen des Bezirkes, sich neben unserem unverzichtbaren Geschichtsthema auch mit aktuellen Themen von Kunst und Kultur auseinandersetzen zu können. Natürlich werden wir nicht in der Lage sein, uns in einen Wettbewerb mit den im Bezirk tätigen Beschäftigungsträgern zu begeben. Das ist zudem besonders schwierig, weil sich vor allem aus Kostengründen sich in den letzten 20 Jahren ein gut Teil der bezirklichen Kulturarbeit auf Freie Träger verlagert hat. Und – das wird oft vergessen – auch Künstlerinnen und Künstler müssen ihr Leben finanzieren können. Aber eigenständige Akzente setzen könnten wir schon. Ich erinnere nur an die gute Resonanz, die unsere beiden – auf eine Anregung von Harald Kintscher zurückgehenden – Kalenderprojekte hatten. Hier gab es immer wieder Nachfragen, wie es denn mit den aktuellen Dingen sei.
Ein anderes Thema.
Am 21. April 2005 wurde an der Stelle, an der 50 Jahre zuvor die Einheiten der 5. Stoßarmee der 1. Belorussischen Front (die Armee wurde in Stalingrad aufgestellt) die Berliner Stadtgrenze erreichten, die dortige Brücke der Allee Richtung Hönow-Altlandsberg nicht zuletzt auf Initiative unseres Heimatvereins in „Nikolai-E. Bersarin-Brücke“ umbenannt. Bersarin wurde erster Stadtkommandanten des befreiten Berlin. Ihm ist es zu verdanken, dass die Menschen im „Trümmerhaufen bei Potsdam“ überhaupt überlebten.
Nun liest man Folgendes zum Beispiel bei WIKIPEDIA:
„Die Benennung der Brücke stieß auf geteiltes Echo bei der Bevölkerung, weil viele den Namen Bersarin nicht nur mit der Befreiung vom Nationalsozialismus und seiner Organisationstätigkeit beim Wiederaufbau, sondern auch mit Vergewaltigungen und Plünderungen seiner Soldaten während der Schlacht um Berlin verbanden.“
Das ist heftig: „geteiltes Echo“ - und „viele“ … Viele wollen inzwischen nicht mehr zur Kenntnis nehmen, was in deutschem Namen zwischen 1933 und 1945 geschah – gerade das mit solchen Äußerungen erfolgende kollektive Umwandeln des Tätervolkes in eine Opferrolle ist hochgradig gefährlich für den Bestand unserer Demokratie.
Frau Staatsministerin Prof. Monika Grütters (sie übernahm dankenswerterweise die Schirmherrschaft für unsere Konferenz im Herbst)sagte am 23. April 2017 anlässlich des Jahrestages der Befreiung des KZs Bergen-Belsen: „Wir widersprechen mit aller Entschiedenheit, wenn neue politische Kräfte in unserem Land unsere Erinnerungskultur, an der unsere Gesellschaft und unsere Demokratie gereift sind, für parteipolitische Zwecke missbrauchen und aus der Hetze gegen den Umgang Deutschlands mit seiner Geschichte Profit für ihre nationalistische Ideologie zu schlagen versuchen.“
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Aber zur Erinnerungskultur gehört auch die Bewahrung der Erinnerungsorte. Die sind auch in unserem Bezirk immer wieder gefährdet – durch politischen Vandalismus und leider auch durch Gedankenlosigkeit. Daher begrüßen wir es nachdrücklich, dass das Bezirksamt von den Plänen eines Verkaufes des ersten befreiten Hauses an der Landsberger Allee 563 abrückte – das sichert den Erhalt dieser so wichtigen Gedenkstätte. Auch wenn die Perspektive des Gebäudes noch unklar ist, auch wenn die Gestaltung sicherlich umstritten ist. Als Gedenkstätte in den Gestaltungsformen der späten DDR hat es nun schon wieder einen historischen Eigenwert.
Ich finde es gut, wenn dort regelmäßig am 21. April der Befreiung Marzahns gedacht wird. Ich würde es begrüßen, wenn es gelänge, wieder zu der einmal vom Heimatverein initiierten überparteilichen Veranstaltungskultur zurückzukehren. Was beim „Stillen Gedenken“ möglich ist, sollte auch dort gehen. In engem Zusammenhang mit dem Haus steht die oben erwähnte Brücke. Die Gedenktafeln an der Bersarin-Brücke verschwanden allerdings in den letzten Tagen spurlos. Öffentlich offenbar fast unbemerkt. Ich halte das für einen Skandal. Ich meine, der Heimatverein sollte sich beim Bezirksamt dafür einsetzen, dass die Tafeln schnellstens in einer Vandalismus erschwerenden Form wieder angebracht werden.
Zu einem letzten Thema:
In den Jahren 1995 bis 2000 wurden in den damaligen Bezirken Hellersdorf und Marzahn die Jubiläen der Ortsteile Mahlsdorf, Kaulsdorf, Biesdorf und Marzahn mit verschiedenen Aktivitäten begangen. Außer Veranstaltungen unterschiedlicher Art gab es Ausstellungen sowie Publikationen (für Mahlsdorf und Kaulsdorf jeweils eine Festschrift, für Biesdorf und Marzahn ein gemeinsames Lesebuch).
Nunmehr nähern sich erneut runde Jahrestage der urkundlichen Ersterwähnung, und zwar:
25. Januar 2020 – der 675. Jahrestag Mahlsdorfs,
6. Dezember 2022 – der 675. Jahrestag Kaulsdorfs,
19. November 2025 – der 725. Jahrestag Marzahns,
2025 – hier wissen wir kein präzises Datum – der 650. Jahrestag Biesdorfs und Hellersdorfs.
Der Vorstand hat sich in seiner jüngsten Sitzung auf Vorschlag Frau Dr. Hübners erstmals mit diesen Jubiläen auseinandergesetzt. Wir sind sehr dankbar, dass Frau Bezirksstadträtin Juliane Witt an diesem Gespräch teilnahm. Natürlich konnten wir noch kein Programm auf den Tisch legen – aber diese Jubiläen werden uns in der ersten Hälfte des kommenden Jahrzehnts beschäftigen müssen. Der Heimatverein war immer an der Gestaltung solcher Ereignisse beteiligt. Wir stehen auch diesmal zur Verfügung. Allerdings sind wir der Auffassung, dass hier eine langfristige Planung angegangen werden sollte – zumindestens unsererseits brauchen wir einen gewissen Vorlauf. Wir wissen alle, dass historische Forschung und Vermittlung keine Eintagsfliegen sind. Man kann sicher PR-Agenturen damit beauftragen – die machen das auf der Basis des Vorhandenen recht schnell. Die Ergebnisse sind dann aber auch so, selbst wenn es optisch gut daherkommt. Wir begrüßen es daher sehr, dass Frau Witt angekündigt hat, für die Vorbereitung des Mahlsdorf-Jubiläums für 2018 eine Vorbereitungsgruppe zu bilden, für die wir jetzt schon unsere Mitarbeit zusagen
Sie werden bemerken, dass uns inzwischen wieder einmal die Geschichte der Großsiedlung in den Hintergrund zu geraten scheint. Frau Dr. Schilling bearbeitet dieses Thema inzwischen fast allein, sie leistet eine beachtenswerte Arbeit, vor der ich großen Respekt habe –aber hier ist für uns alle, denke ich, künftig mehr zu tun. Die Identität vieler Menschen im Bezirk wird eben durch das geprägt, was man gemeinhin „die Platte“ nennt – jetzt habe ich den Begriff wieder gebraucht, und ich weiß, die einen werden sagen, ja so ist es. Andere werden mich allein für den Gebrauch dieses Wortes geißeln. Aber Wörter sind irgendwie Schall und Rauch – hier liegt ein enormes Arbeitsfeld vor uns, dem wir uns intensiver stellen müssen.
Dieser Abend soll neben dem freundlichen und freundschaftlichem Begegnen auch dem Gespräch über zukünftiges Arbeiten dienen – ich wünsche uns allen dazu Freude, Genuss und Erfolg! Und ich hoffe sehr, dass wir möglichst Vielen von Ihnen auf unseren Veranstaltungen wiederbegegnen – bringen Sie Ihre Freunde mit. Unser Schatzmeister Herr Rau stellt Ihnen gerne Eintrittserklärungen zur Verfügung.
Wolfgang Brauer; 26. April 2017