Festveranstaltung anlässlich des 100. Geburtstages von Peter Edel am 12.07.2021

 

Fotos: Karl Forster

 

Dieser Beitrag beruht auf einer Gedenkrede, die der Autor am 12. Juli, dem 100. Geburtstag von Peter Edel, bei einer Feierstunde des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf e.V. unter Schirmherrschaft der Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle gehalten hat.

Peter Edel – Antifaschist, Grafiker, Schriftsteller

von F.-B. Habel

 

Anfangs stand in der Überschrift statt „Antifaschist“ der Begriff „Widerstandskämpfer“. Aber Widerstandskämpfer in der DDR? Zu den Leuten, die im DDR-Widerstand waren, weil sie sich gegen die zweifellos oft restriktive Politik der DDR zur Wehr setzten, gehörte Peter Edel nicht. Bei aller Kritik schätzte er die DDR, weil hier dem faschistischen Ungeist entschieden Paroli geboten wurde. Das entsprach seiner Überzeugung, und deshalb stand er immer hinter dem sozialistischen deutschen Staat, gegen Ende seines Lebens auch als entschiedener Kritiker von Antifaschisten wie Robert Havemann und Stefan Heym, die Veränderungen forderten. Darum ist der richtige Titel dieser Rede auch „Peter Edel – Antifaschist, Grafiker und Schriftsteller“, denn zuallererst war der Antifaschismus die Triebfeder für seine künstlerische Arbeit.

Ich bezeuge!
Ich war
dort
und litt und halte
mein Zeugnis aufrecht,
sollte es auch niemanden geben,
der sich erinnert,
ich
bin’s der erinnert,
auch wenn keine Augen mehr auf Erden sind,
ich werde weiterhin sehen
und niedergeschrieben wird bleiben hier
jenes Blut,
jene Liebe wird hier weiterglühn,
es gibt kein Vergessen, meine Herren und Damen,
und durch meinen versehrten Mund
weitersingen werden jene Münder!

Das ist kein Gedicht von Peter Edel (obwohl er in der Weltbühne auch politische Gebrauchslyrik veröffentlichte). Die Zeilen stammen von Pablo Neruda aus Peter Edels letztem Weltbühnen-Beitrag, der kurz vor seinem Tod 1983 erschien und der auf einem Vortrag beruhte, den er zuvor auf einem internationalen Schriftstellerkongress in Köln gehalten hatte.

Vorbestimmt war Peter Edel, der vor 100 Jahren in eine bürgerliche Berliner Familie hineingeboren wurde, ein kämpferisches Leben nicht. Die Nazis machten ihn zum Kämpfer, denn nach deren Diktion war er „Halbjude“ und hatte mit Einschränkungen zu leben. Er war stark beeinflusst von seinem Großvater Edmund Edel, der als Plakatkünstler, Karikaturist und auch als Schriftsteller und Filmregisseur ein Sittenschilderer war und zu den herausragenden Berliner Künstlerpersönlichkeiten der Jahre vor und nach dem Ersten Weltkrieg zählte. „Seltsamer Opa. Kleiner, aufgeregter alter Herr, untadelig angezogen, elegant mit blitzender Manschette und blitzender Brille über blitzscharfen Augen“, so schilderte ihn der Enkel. Edmund Edel starb 1934 siebzigjährig, als Peter dreizehn Jahre alt war und viel von ihm gelernt hatte. Gemeinsam hatten Großvater und Enkel noch Max Liebermann besucht, der Peter eine Kreidezeichnung mit Widmung schenkte, und den der Junge zwei Jahre später aus dem Gedächtnis porträtierte. In seinem Buch „Wenn es ans Leben geht“ schrieb er über die Begegnung, dass der fast Neunzigjährige ihn im Gespräch unablässig angesehen habe „mit traurigen, verschleierten, dennoch scharf prüfenden Kohlenaugen, die eingebettet sind in schwere Lider und wulstige Tränensäcke.“

Der junge Mann musste wegen der Rassegesetze der Nazis 1938 das Gymnasium verlassen, wurde als Maler und Grafiker an einer Privatschule, unter anderem vom angesehenen Gebrauchsgrafiker Otto Arpke ausgebildet. Auch Käthe Kollwitz erteilte ihm heimlich Privatunterricht. Peter Edel-Hirschwehs Eltern ließen sich 1940 scheiden, um der „arischen“ Mutter zu ermöglichen, als Schneiderin den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Doch sein Vater Erich Hirschweh wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ins Gas geschickt.

Peter heiratete 1941 seine Jugendliebe Lilo, genannt Esther, schloss sich dem Widerstand an und beide wurden schließlich 1943 nacheinander verhaftet und nach Auschwitz verbracht, wo Peter Esther nur von weitem noch einmal wiedersah, ehe sie durch medizinische Experimente umgebracht wurde. Den letzten Eindruck hat er in einer Grafik festgehalten.

Seine Häftlingsnummer 164145 trug er mit Stolz bis ans Lebensende. Ihm selbst wurden „artfremde Kunstbetätigung und Verbreitung reichsfeindlicher Schriften“ zur Last gelegt. Auch in den Konzentrationslagern hat er wann immer er konnte gezeichnet. In einem Durchgangslager traf und zeichnete Edel den Arbeitersportler Werner Seelenbinder, der kurz darauf ermordet wurde.

Die Skizzen wurden von Mitgefangenen in einem Kasten mit doppeltem Boden versteckt. Sein zeichnerisches Können bewahrte ihn schließlich vor der Vernichtung. Er gehörte zu den grafisch talentierten Gefangenen, die für die Nazis im KZ Sachsenhausen in großem Stil britische Pfundnoten, Wertpapiere und Dokumente fälschten. Hier war der Maler und Grafiker Leo Haas Edels Mitgefangener, von dem er viel lernen konnte. Der gesamte Vorgang ist aus dem österreichischen, 2008 mit einem „Oscar“ ausgezeichneten Film „Die Fälscher“ bekannt.

Die Fälscherwerkstatt wurde aufgrund der herannahenden Befreier noch nach Österreich verlegt. Im KZ Ebensee nahe Mauthausen erlebte Peter Edel die Befreiung. „Heute am 6. Mai 1945 wurde ich neu geboren. Und ich verließ die Hölle, mit meinen Kameraden im gestreiften Zebrakleid, und ging freiheitstrunken die Straße entlang, die durch das Dorf Ebensee nach Bad Ischl führt“, schrieb er genau ein Jahr später an seine Mutter.

Er wurde zunächst im nichtsdestotrotz idyllischen Bad Ischl ansässig, konnte zeichnen, arbeitete als Bühnenbildner und schrieb auf, was er erlebt hatte. 1947 erschien in Wien sein erster Roman „Schwestern der Nacht“. Im gleichen Jahr übersiedelte Edel ins noch ungeteilte, wenn auch politisch aufgeteilte Berlin und wohnte als alter Charlottenburger zunächst im Westen. Er nahm Kontakt mit der Weltbühne auf und schrieb ab dem zweiten Nachkriegsjahrgang regelmäßig für die von Maud v. Ossietzky im Osten wiedergegründete Zeitschrift. Wie schwer die Zeit war und wie leicht es ihm wurde, sich in Berlin-Pankow (wo die Redaktion zeitweilig untergebracht war) zu Hause zu fühlen, zeigt eine bezeichnende Episode:

Edel erinnerte sich an seinen ersten Besuch bei Chefredakteur Hans Leonard in der Weltbühnen-Redaktion im Winter 1947. Nach einem guten Gespräch war Edel schon im Flur, da „steckte er plötzlich seinen Kopf durch die Bürotür und flüsterte mit Verschwörermiene: ‚Machen Sie mal schnell Ihre Aktentasche auf!‘ Und verblüfft sah ich, wie er mir mit der geheimnisvollen Miene eines Vaters, der seinem Sohn die erste Uhr schenkt – einige Presskohlen hineintat. ‚A conto‘, murmelte er verlegen über meine Rührung, ‚so schreibt sich’s besser.‘ O fürstliches erstes Wb-Honorar!“

Als Autor blieb Edel der Weltbühne bis ans Lebensende verbunden – als angestellter Mitarbeiter bis in die ersten fünfziger Jahre. Er schrieb oft feuilletonistische Beiträge, Film- und Theaterkritiken und griff alte Nazis an. Schon von Österreich aus hatte er seinen Nachbarn aus Bad Ischl aufs Korn genommen, den Komponisten Franz Lehár, der sich bei den Nazis allzu feige benommen hatte und kein gutes Wort für seinen Librettisten Fritz Löhner-Beda eingelegt hatte, bis dieser in Auschwitz umgebracht wurde. Nazi-Regisseur Veit Harlan machte sich anheischig, im Westen neue Filme zu drehen, was Edel mit bitterem Sarkasmus kommentierte. Die Weltbühne entsandte ihn 1948 zu den Kriegsverbrecherprozessen nach Nürnberg, was Edel nicht nur Gelegenheit zu einer Artikelserie gab. Er zeichnete bitterböse Karikaturen der Kriegsverbrecher, die die Weltbühne, die sonst traditionell auf Abbildungen verzichtete, auf ihren Seiten wiedergab. Das blieben die einzigen – zumindest mir bekannten – Karikaturen im Werk des Künstlers, in denen er auf den Spuren des Großvaters Edmund Edel wandelte.

Im Jahre 1948 fand das spätere Mitglied des Komitees antifaschistischer Widerstandskämpfer zum Gedenktag für die Opfer des Faschismus in der Weltbühne deutliche Worte: „Wir begehen diesen Gedenktag in banger Sorge, weil wir erkennen mußten, daß das Vermächtnis unserer Toten, ihrem Sterben einen Sinn zu geben, bisher nicht erfüllt worden ist. (…) Das Jahr 1948 hat uns bislang nur eines unmißverständlich bemerken lassen, daß der Faschismus nicht mit denen gestorben ist, die er vernichtet hat.“ An dem Opfer-Begriff an sich übte er Kritik: „Auf Grund unserer Erfahrungen müssen wir uns fragen, weshalb eigentlich der Begriff ‚OdF‘ überhaupt geprägt worden ist. Jener Sammelname, der in den Ohren unserer Feinde (…) allzu wehleidig und passiv klingt und mit der tatsächlichen Aktivität der meisten der Überlebenden der KZ-Lager, die bestimmt nicht als Helden geboren, im Lager Mut und kämpferische Gesinnung bewiesen haben, nicht zu vereinen ist.“

Uns, die wir heute mit entsprechenden Äußerungen in gewissen „sozialen Netzwerken“ konfrontiert sind, mag Edels Bemerkung von 1948 prophetisch erscheinen: „Heute darf die Reaktion schon offen die Maske fallen lassen, und man erkühnt sich bereits wieder, die Worte Russe, Jude, KZetler als Schimpfworte dem deutschen Sprachschatz einzuverleiben.“

Peter Edel hat später lange für die Tageszeitung BZ am Abend gearbeitet. Für sie illustrierte er den in Fortsetzungen erschienenen Roman „Kubinke“ des in Auschwitz ermordeten Georg Hermann, der mit Großvater Edmund Edel befreundet war. Seine Schaffenskraft kam in vielen grafischen Blättern zum Ausdruck, er ist als Zeuge gegen Alt-Nazis aufgetreten, wie 1963 im Prozess in absentia gegen Bundeskanzler Adenauers Staatssekretär Hans Globke vor dem Obersten Gericht der DDR.

Vor seinem allzu frühen Tod mit 61 Jahren schrieb er noch zwei wichtige Bücher. 1969 erschien „Die Bilder des Zeugen Schattmann“, für den er 1970 mit einem Nationalpreis ausgezeichnet wurde. Er griff die Situation beim Globke-Prozess auf, wo sein Held Frank Schattmann, ein Grafiker, mit der Vergangenheit konfrontiert wird. Die Geschichte der jüdischen Familie Schattmann unter den Nazis wird in Rückblenden plastisch. Vielen Zuschauern ist die vierteilige Adaption des Fernsehfunks mit Gunter Schoß und Renate Blume als Frank und Esther Schattmann in guter Erinnerung. Unschwer zu erkennen, dass Edel sich und seine Frau in diesen Figuren selbst porträtierte. Eine besondere Freude war für ihn, dass es Regisseur Kurt Jung-Alsen gelang, für die Rolle der Martha Klein, des ehrwürdigen jüdischen Familienoberhaupts, die Westberliner Schauspielerin Tilla Durieux zu gewinnen. Sie hatte Deutschland 1933 verlassen müssen und schloss sich im jugoslawischen Exil dem Widerstand unter Tito an. Von Edels Vorlage war sie begeistert. Doch leider musste Peter Edel sie kurz vor Drehbeginn im Krankenhaus besuchen, wo er das letzte Porträt der 90jährigen zeichnete. Tage darauf starb sie.

Bei den Dreharbeiten war Peter Edel oft zugegen und schrieb in sein Notizbuch für etwaige Veröffentlichungen. Die DEFA-Produktion war der erste deutsche Spielfilm, für den die Genehmigung erteilt wurde, auf dem Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz zu drehen. Dort entdeckte er auch „seine“ Pritsche mit den Initialen P.E. in Stube 5 im Achterblock. Die Erinnerungen gingen ihm nahe und veranlassten ihn, noch ein weiteres Buch, diesmal wirklich autobiografisch, zu verfassen. „Wenn es ans Leben geht. Meine Geschichte“ erschien 1979.

Heute ist es wichtiger denn je, an Peter Edel und seine Erfahrungen zu erinnern. Immerhin gibt es in Hellersdorf die Peter-Edel-Straße, die vielleicht nicht nur heute Anlass ist, sich mit ihm zu beschäftigen. Auch das Kulturhaus „Peter Edel“ in Weißensee wird nach Abschluss des Umbaus an den Namensgeber erinnern. Aber die Peter-Edel-Oberschule im Pankower Stadtteil Buchholz gibt es nicht mehr. Ich möchte mich bei Ute Knorr bedanken, die an dieser Schule Deutsch- und Musik-Lehrerin war, die Witwe Helga Korff-Edel gut kannte und mir Material zur Verfügung stellte. In Schulklassen ist Peter Edel als Zeitzeuge gern aufgetreten. Von Begegnungen mit Kindern berichtete er in „Die Bilder des Zeugen Schattmann“:

„Was habe ich ihnen eigentlich erzählt? (…) Was das einmal war: Solidarität, und was sie uns heute bedeutet. Und natürlich vom Frieden haben wir gesprochen, weil es ohne ihn keine solche Schule und kein Lachen darin gäbe.“